01·34 Unit Raum Poetik |
Martina Pfeifer Steiner
· vai Vorarlberger Architektur Institut
· am 22. 10. 2014
Dauer Insgesamt: 3 St
Die schönsten Raumbeschreibungen aus der Literatur sind Impuls für die eigenen poetischen Texte über Assoziationen, Gefühle, Erinnerungen im Zusammenhang mit der gebauten Umwelt.
Impulstexte:
Raum Poetik: Beschreiben von individuellen Empfindungen, Erinnerungen, Assoziationen in Räumen, Gebäuden, Stadt
Als Einführung und Anregung werden Literatur-Texte gelesen. Durch den Fokus auf Raumerleben wird spürbar, wie oft es um Baukultur geht, in Geschichten, Romanen, … Man kann diese Betrachtung auch auf Besprechungen von Filmen erweitern, in denen Raum als Erlebniswelt eingesetzt wird.
Poetische Betrachtung zu einem Gebäude in Dornbirn von Martin Oswald, Schriftsteller und Künstler
Ein nüchternes Haus.
Modern und doch nicht von heute. Es verschließt sich. Weiß kann einladend sein. Dieses Weiß aber weiß nicht, was es will. Einladen? Sauber sein? Ein Zeichen für ein neues Gefühl? Weiß war einst eine Ansage. Weiß war die Botschaft: Wir sind wahrhaftig, wir kommen, wir bringen euch Neues Leben. Zunächst kam gar nichts. Dann Krieg, dann Neues Weiß. Wer weiß? Ob Anstriche alte Wunden heilen?
Ich gehe hinein. Vorbei an einem Buchladen, dann die Glastür, die mich vom Draußen trennt. Links ein Lokal, es ist nicht meines, vor mir ein Treppenhaus, schwarz das Geländer, dort ein Aufzug, den ich nicht benutze. Gebäude wollen bestiegen sein, wie Berge und Gipfel. Sie wollen erkundet sein, denn Häuser sind Welten, die, so oft wir sie besuchen, irgendwo fremd bleiben, auch wenn wir ihnen immer näher kommen. Vertrautheit spüren, warm werden. Fremd bleibt selbst das Elternhaus, denn manche Winkel bleiben stets versperrt und unentdeckt. Die Ecken meiner Kindheit: am schönsten waren jene, die nur ich besaß. Die niemand anderes kannte. Mein eigen. Erstes Eigentum. Dunkel, ohne Licht, eng, verwinkelt. Muffig. Doch meines. Hausbesteigung. Manche nennen es Stiegenhaus, das klingt altmodisch und ist dennoch schön. Irgendwer muss alles neu gemacht haben, es duftet frisch, die Wände atmen den Geist unserer Zeit. Ich begegne Menschen, die sich nicht abschließen, deren Büro nur eine Glaswand trennt vom Raum davor, von dort schaue ich auf die Straße nach unten, wo einst Schulklassen auf Einlass warteten, auf Einlass in die alte Naturschau. Ausgerechnet hier in diesem Haus war diese Schau, einem Haus, das doch alles, was auch nur nach Natur roch, einst vertrieb. Ausgestopfte Tiere und aufgespießte Käfer in einem Haus für den Neuen Menschen. Das ging nicht lange gut, und tatsächlich zogen sie aus und bauten der Natur etwas anderes. Der Würde entsprechend. Ein Museum. Eines für alle. Eines zum Mitmachen. Die Zeiten ändern sich: Früher hieß es „Berühren verboten“ und wir rührten dennoch alles an. Heute heißt es: Fass mich an und du erfährst, wer du bist. Doch es gibt immer weniger zum Fassen. Das Display steht uns näher als der Mensch.
Ich könnte jetzt hineingehen in das Büro, Menschen treffen und sinnlose Fragen stellen… alles ergibt sich. Ich blicke noch einmal auf die Straße, nach unten, von wo aus gesehen ich zu denen gehöre, die glauben, Bedeutsames ginge hier vor. Das Weiß heischt nach Anerkennung. Und ich gebe ihm, was es braucht. Denn auch Häuser wollen geliebt sein.
In ihnen will Leben sein. Und jeder, der solch ein Haus besucht, beschenkt es mit Leben. Ich schenke gerne.